Politiker müssen den Dialog wieder erlernen.
Das war nur eine der mehr oder weniger überraschenden Fazits am Diskussionsabend zu „Politik und Demokratie im Social Web“. Eingeladen hatte die Stiftung Friedliche Revolution, die mit dem „Freiraum“ ein Podium und eine Plattform für Diskussionen und Diskurse über verschiedenste Themen anbietet. Derzeit steht die Bühne des Freiraums in Dresden auf dem Theaterplatz vor der Semperoper. Und wo vor wenigen Wochen noch die Hassreden von Pegida zu hören waren, ging es am 31.08. um die Chancen aber auch die Probleme des politischen Dialogs im Social Web.
Philipp Drechsler und ich waren eingeladen, diesen Abend mit einem Impulsvortrag zu eröffnen. Als Vorstandsmitglieder des MobileCamp e.V., Experten für das mobile und das social Web, war es für uns eine Ehre, darüber zu referieren und mit Michael Kölsch (Vorstand der Stiftung) und Konstantin von Notz (netzpolitischer Sprecher der Grünen im Bundestag) gemeinsam dann über die Zukunft der Demokratie im Netz zu diskutieren.
Oder um es kurz zu machen: es war ein spannender und cooler Abend vor grandioser Kulisse!
Wir haben die Diskussion mit 5 Gedanken eingeleitet, die ein Stück weit das widerspiegeln, was im Netz gerade abgeht.
I. Der Mensch ist faul und ein Herdentier
Menschen haben über die Jahre ihre kleinen sozialen Welten in Form von Netzwerken auf Facebook & Co. aufgebaut und bewegen sich zunehmend nur noch in diesem Dunstkreis. Auch die Algorithmen der Netzwerke unterstützen diese künstliche Verengung des eigenen Horizontes, indem vorwiegend Beiträge von den Leuten angezeigt werden, denen ich folge und mit denen ich am meisten interagiere. Durch die unglaublich einfache Mechanik. Inhalte zu teilen, zu liken und zu kommentieren, entsteht so eine Dynamik, welche populistische und bequeme Inhalte immer wieder explosionsartig nach oben spült. Dabei vergessen mache, was es heißt, Informationen zu hinterfragen und verschiedene Quellen zu recherchieren. Das kritische Auseinandersetzen mit Inhalten bleibt dabei zunehmend auf der Strecke.
II. Soziale Netzwerke das Kommunikationsformat des 21. Jahrhunderts, werden aber zunehmend von Bots unterwandert
Es ist wohl unstrittig, dass soziale Medien das Netz erobert haben. Nutzerzahlen und Nutzeraktivitäten sprechen für sich.
Dabei ist es auch nicht verwunderlich, dass sich immer mehr Politiker, Fraktionen, Parteien und politische Akteure online engagieren und versuchen, mitzumischen. Das machen sie manchmal gut, manchmal aber auch ziemlich schlecht. Es ist schon erstaunlich, mit welcher Naivität Parteimitglieder bei Facebook & Twitter agieren. In Wirtschaftsunternehmen hätten sie für manche Postings und Tweets durchaus arbeitsrechtliche Probleme bekommen. Daher auch das Fazit von eingangs, dass der Dialog, vor allem im Social Web, erst erlernt werden muss. Das Bewusstsein, dass eben nicht nur die paar tausend Follower den Tweet lesen, sondern im besten Falle eine Vielzahl an Menschen mehr, ist oft nicht vorhanden, wie mir scheint.
‼️Seit September alles ohne Einverständis des Bundestages. Wie in einer Diktatur ‼️https://t.co/NYoR2buSmO via @focusonline
— Erika Steinbach (@SteinbachErika) 13. März 2016
Hallo @Markus_Soeder. Warum haben Sie diesen Tweet erst geschrieben – und dann gelöscht? #GERITA#Özilpic.twitter.com/sFrsDpOZ4o
— Oliver Das Gupta (@oliverdasgupta) 2. Juli 2016
Und das sind nur zwei der zweifelhaften Äußerungen von deutschen Politik-Größen auf Twitter.
Nichtsdestotrotz kommt kaum einer an den sozialen Medien vorbei, denn hier finden die Diskussionen statt, die hochgradig interessant für die Politik sind. Man merkt aber auch, dass es Parteien gibt, die es offensichtlich besser schaffen, ihre Fans und Wähler im Netz zu mobilisieren.
„Soziale Netzwerke wie Facebook sind wichtige Hilfsmittel zur Wählermobilisierung. Die AfD saugt daraus ihren Honig wie keine andere Partei. Auf Bundes- wie auf Landesebene hinken CDU, SPD & Co weit hinterher.“
Es ist ein Spagat zwischen Offenheit und Zurückhaltung, zwischen Populismus und Seriosität, den einige Akteure offenbar besser beherrschen als andere.
Ein großes Problem sind die Social Bots, die sind unbemerkt in die Accounts einschleichen und so Diskussionen anzetteln oder bewusst steuern. „Post-Truth politics“, das Phänomen der gefühlten Wahrheit, geistert durch das Netz. Informationen, welche wahr sein könnten und von denen sich Menschen wünschen, sie wären wahr, werden zunehmend gestreut und geteilt. Diese Guerilla Taktiken wurden durch eine Untersuchungsgruppe der Uni Siegen um Simon Hegelich auf der Facebook-Seite der CSU entdeckt.
„Wir sind uns ziemlich sicher, dass Bots auf der Facebook-Seite der CSU ausländerfeindliche Kommentare posten.“
„Bei Facebook, Twitter & Co. entwickeln sich Social Bots langsam zu einem ernstzunehmenden Problem. Die Fake-Accounts werden längst nicht mehr nur zum Spammen eingesetzt, sondern greifen mittlerweile manipulativ in die Kommentare und Berichterstattung ein.“
(mobilegeeks.de / Manipulation durch Social Bots nimmt bedenkliche Ausmaße an)
Das Problem: Sie sind schwer zu erkennen, aber äußerst effektiv und gerissen in ihrer Kommunikation.
III. Meinungsfreiheit im Netz – oft nur eine Phrase
Der der am lautesten brüllt, wird gehört, die anderen schweigen lieber. Das kann man wohl durchaus so konstatieren. Es wird immer schwieriger, seine eigene Meinung im Netz zu Gehör zu bringen, wenn sie nicht dem allgemeinen Duktus entspricht. Das gilt in beide Richtungen, beispielsweise bei der Flüchtlingspolitik. Ist man gegen Einwanderung, ist man Rechts. Ist man dafür, ist man Links. Das führt dazu, dass viele lieber schweigen, als sich dem Hass und dem HateSpeech des Netzwerkes auszusetzen.
Auch die zunehmende Eskalation von Diskussionen stellt Politik und Behörden vor ein großes Problem. Es ist schlichtweg nicht möglich, alle beleidigenden und hetzenden Kommentare zu verfolgen. Doch in der Diskussion im Freiraum wurde auch eines deutlich: Totschweigen, Ignorieren und kommentarloses Löschen hilft nicht. Man muss sich auch mit dem Hass auseinandersetzen und Strategien entwickeln, wie diesem auf einer kommunikativen Ebene begegnet werden kann. Und hier tun sich viele Politiker extrem schwer. Doch nicht nur die Politik leidet unter der Verrohung der Diskussionskultur, viele andere Plattformen und Bereiche ebenso.
„Nie hätte ich gedacht, dass solche Leute mich zwingen könnten, mal ein Forum auf heise online zu schließen, weil die Kommentare – Meinungsfreiheit hin, offenes Forum her – nicht mehr zu ertragen waren. Oder dass ein Aufruf gegen Rassismus und Ausländerfeindlichkeit im Forum notwendig wäre. Und dies trotz aller Selbstregulierung in den Foren, in denen die Spinner, die mit rassistischen und sexistischen Äußerungen um sich schlagen, von den Usern selbst immer wieder zurechtgewiesen werden.“
(Jürgen Kuri, stv. Chefredakteuer, c‘t/heise, 15.12.15)
IV. Social Web – eine einzigartige Chance für die Demokratie
Trotz allem Übel können wir konstatieren, dass die sozialen Medien für die Demokratie eine einzigartige Chance darstellen. Denn wo sonst können Menschen besser mitreden, sich informieren, einbezogen werden und kommentieren. Und es ist auch die Pflicht der Abgeordneten, diesen Dialog zu ermöglichen, ihn zu führen. Und es ist ihre Aufgabe, zuzuhören, denn die Menschen wollen kommunizieren, sich mitteilen, ihre Ängste, Sorgen, Nöte und Hoffnungen mitteilen.
Dafür braucht es aber auch die Medienkompetenz auf Seiten der Politik und die stelle ich vielen Akteuren in Abrede. Wenn Accounts als Pressekanal missbraucht werden, wenn nicht die eigentlichen Ansprechpartner, sonder Ghosts (Agenturen, Mitarbeiter, Externe), die Kommunikation führen und wenn sich auf den Mainstream-Portalen Facebook und Twitter ausgeruht wird, während die Jugend weiter zu WhatsApp, SnapChat oder Instagram zieht, dass ist Handlungsbedarf.
Ausnahmen bestätigen die Regel und so möchte ich auch nicht verhehlen, dass es durchaus leuchtende Beispiele für einen demokratischen und authentischen Diskurs im Netz gibt. Über einen habe ich bereits berichtet (Politik im Social Web – Freibergs OB Sven Krüger mit einem Gespür für gute Kommunikation), ein anderer ist mir die Tage untergekommen. So testet die CDU Fraktion im sächsischen Landtag Facebook Live und streamt direkt aus Fraktionssitzung oder übertragt Live-Interviews mit Abgeordneten und Vorsitzenden.
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Die beiden Pressesprecher Pascal Ziehm und Christian Fischer darf man da ruhig als Social Pionieers bezeichnen, denn sie ermöglichen einen ungefilterten und authentischen Blick hinter die Kulissen und das ist genau das, was oftmals fehlt. Politik und politische Entscheidungen werden sehr gern als Diktat einer einzelnen Person wahrgenommen: Die Merkel wars. Dass an Entscheidungen aber immer viele Angeordnete mitgestalten und darüber lang und breit diskutiert wird, diese Erkenntnis fehlt meistens. Auch die Vorstellung, wie Politik gemacht wird und das Verständnis für Demokratie sind oftmals arg verquer und können über solche Formate und ein gesundes Maß an Authentizität und Offenheit korrigiert werden.
Der Weg ist beschwerlich und sicherlich stehen deutsche Politiker gerade am Beginn der kommunikativen Entwicklung im Netz, aber das Potential ist da und muss genutzt werden.
V. „Befreiungstechnologie“ – Kann Social Media wirklich helfen, Demokratie zu schaffen?
Der arabische Frühling hat gezeigt, wozu soziale Medien im Stande sind. Proteste und Regierungskritische Diskussionen konnten sich nur im virtuellen und nicht kontrollieren Raum der Social Media entfalten. Der Staat hat hier keine Deutungshoheit, sondern die liegt bei jedem Einzelnen. Die entstandenen virtuellen Parallelwelten dienten zum Austausch von Informationen und auch der Motivation, weiterzumachen. Allerdings erkennt man hier auch schnell die Grenzen der Technologie, denn nicht jedem standen und stehen Zugänge zu Twitter und Facebook zur Verfügung. Daher muss nach wie vor oft auf eher klassischen Kanäle wie SMS oder Telefon ausgewichen werden.
Aber ohne diese Alternativen wäre es kaum möglich gewesen, demokratische Strukturen zu schaffen und zu ermöglichen.
Diese Gedanken bildeten nun am Abend des Freiraums die Grundlage für die Diskussion mit Konstantin von Notz, uns und dem Publikum. Es war schön, dann auch so viele Zuhörer zu sehen, die auch die Chance genutzt haben, Fragen zu stellen und mitzureden. Bleibt nur zu sagen, dass es auch für mich eine neue Erfahrung war und ich dann mit einem guten Gefühl wieder nach Hause gefahren bin. Wenn weiter über diese Themen gesprochen wird, dann wird sich auch die Diskussionskultur wieder stabilisieren und dann kann auch endlich Social Media seinen Beitrag für die Demokratie leisten, da bin ich mir sicher.
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